„Ich brauch Sonne“
Der Hersbrucker Jürgen Wild ist ein Vollblut-Schausteller
GROSSE POLITIK: Schaustellerverbands-Geschäfts-führer Jürgen Wild (links) mit Bundeswirtschafts-minister Karl Theodor zu Guttenberg im Kloster Banz.
ERBE DER SCHAUSTELLER-FAMILIE: Das historische Kinderkarussell, hier auf dem Erlanger Kitzmannfest, ist derzeit eingemottet.
PRÄSENZ VOR ORT: Wild (ganz rechts) beim Matjestest auf dem Laufer Fischmarkt.
HERSBRUCK – Können die Festwirte mit dem Rauchverbot leben? Müssen alte Fahrgeschäfte-Transporter wegen der EU-Feinstaubrichtlinie abwracken? Kann der Autoscooter noch starten, wenn der Marktplatz umgebaut ist? Wo es um die Interessen der Schausteller geht, steht ein Hersbrucker mit vorn dran: Jürgen Wild ist Geschäftsführer des bayerischen Marktkaufleute- und Schausteller-Verbands.
Wenn ab 20. Mai die Thalheimer Feuerwehr ihren 125. Geburtstag feiert, dann beginnt auch für den Mandelröster Jürgen Wild wieder die Saison. „Gott sei Dank“, sagt der 48-Jährige. Denn wenn er in München in seine Büroräume „eingesperrt“ ist, da muss er immer erst mal Türen und Fenster aufmachen: „Ich brauch die Sonne!“
Was macht der Spross einer Schausteller-Familie, den die Hersbrucker als Organisator von Altstadtfest und Weihnachtsmarkt kennen, in München? Er hat als Geschäftsführer der bayerischen Schausteller im Büro nahe der „Wiesen“ ein zweites Standbein. „Bayerischer Landesverband der Marktkaufleute und Schausteller e.V.“ heißt der Zusammenschluss von 3000 Kleinbetrieben offiziell. Auch Zirkusleute gehören dazu, was dem Verband bei der Berufsgenossenschaft die teuersten Tarife beschert: Trapezkünstler fallen tief.
Jürgen Wild fiel vor drei Jahren zum Glück nur von der Leiter. Seit dem Unfall kann er aber seine zwei 80 Jahre alten Kinderkarussells nicht mehr betreuen. Um den Süßwarenstand kümmert sich seine Frau mit. Er selbst bereitet in München Termine und Gespräche seiner Vorstände vor, pflegt Kontakte zu Staatsregierung und Kommunen — und darf daher auch mal mit, wenn die Granden der CSU im Kloster Banz in Klausur gehen.
Gut unterhalten hat er sich dort mit dem neuen Bundeswirtschaftsminister Karl Theodor zu Guttenberg. Themen gibt es für einen echten Lobbyisten viele: Das Rauchen bleibt in Festzelten zwar verboten, wird aber nicht geahndet. Schausteller-Lkw mit ihren seltenen, langsamen Fahrten brauchen keinen Fahrtenschreiber. Die EU-Feinstaubverordnung nimmt Rücksicht darauf, dass solche Zugmaschinen, teuer und selten genutzt, nicht alle Jahre auf den neuesten Standard hin umgerüstet werden können.
Oft liegen die Hürden, die den Schaustellern das Leben schwer machen, auch direkt vor der Haustür. In Oed hat man bei der Straßensanierung einen Kanaldeckel entfernt, wohin jetzt mit dem Abwasser beider Kirwa? In Happurg hat man den Dorfplatz so umgebaut, dass große Fahrzeuge nur noch schwer hinkommen. In Altdorf dagegen hat man vor dem Marktplatzumbau mit Wild und seinen Kollegen gesprochen. Auch künftig fühlen sich dort die Marktbeschicker wohl.
Manchmal muss Wild auch zwischen Mitgliedern Streit schlichten, bei Konflikten mit Kommunen vermitteln, Kompromisse vertreten, auf Ordnung pochen. Mundfaul und menschenscheu darf man da nicht sein. Und das Milieu der vielfach miteinander verschwägerten Schaustellergilden sollte man kennen.
Jürgen Wilds Großvater väterlicherseits stammte aus einer Amberger Schaustellerfamilie. Der Großvater mütterlicherseits hingegen war ein Fürther Metzger, dem nur zufällig eine Jahrmarkt-Schaukel (noch ohne Strom) als Pfand in die Hände fiel. Da gab er seine Metzgerei auf und ging unter die Schausteller. Klein-Jürgen kannte in Franken alle Volksschulen. In den meisten gastierte er jährlich nur eine Woche, dann ging es weiter zum nächsten Jahrmarkt. Die strenge Mutter sorgte dafür, dass aus dem Buben trotzdem was wurde. Er musste auch bei der heißesten Kirwa abends rechtzeitig ins Wohnwagenbett und noch mit 16 um 10 Uhr daheim sein. Erst nach der Bürokaufmannslehre durfte er in die Schaustellerei. Auch Wilds Schwester übernahm erst nach einer Ausbildung den elterlichen Schießstand.
Elvira und Jürgen Wild hielten es bei ihren Kindern ähnlich. Sie ließen sie in Hersbruck in der Schule und tourten selbst nur noch durch Mittelfranken. Die Tochter lernte in einer Wäscherei, der Sohn als Drucker. Ob er mal Schausteller werden will, ist offen.
So richtig zu seinem Beruf an der Sonne (aber auch im Regen) will Wild jungen Leuten nicht raten. Einberechnen muss man nicht nur die Bürokratie (von Brüssel bis zum Dorfbürgermeister), sondern auch neue Konkurrenten: Die täglichen Sonderangebote von Aldi bis Schlecker lassen kaum noch Marktnischen für den billigen Jakob oder den Kurzwaren-Stand. Die ganzjährigen Freizeitparks stechen manche Kirchweih aus. Neue, kühne Fahrgeschäfte kann sich ein kleiner Schausteller nicht mehr leisten, kann sie höchstens noch leasen. Imbiss und Süßwaren allein aber machen keinen attraktiven Jahrmarkt aus.
Und trotzdem bleibt er für viele reizvoll: der Rummel bei Wind und Wetter, der Kontakt mit Menschen bei ihrem Freizeitvergnügen. „Mit Tradition in die Zukunft.“ Das ist das Motto des Schaustellerverbands auf seiner Homepage. Die hat auch Jürgen Wild gestaltet.
WALTER GRZESIEK
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